Dienstag, 19. März 2024

Kudamm 56 – Premiere im Stage Theater des Westens

oder eine emotionale Reise in die “guten” alten Zeiten

Vorab muss ich sagen das ich die gleichnamige Fernsehserie nie gesehen habe und auch den Inhalt so gut wie gar nicht kannte. Ausserdem wurde ich von internen Quellen gewarnt das ich kein Glitzer und Funkelmusical serviert bekomme und da stand ich nun … ungeschminkt und ohne jede echte Vorfreude vor dem Eingang des Stage Theater des Westens und wartete auf das Ergebnis meines Coronatests, denn die Premiere wurde kurzfristig in 2GPlus angeboten. Es war kalt und diese beknackte Teststation hat mit dem Versprechen von 20min leider nicht Wort gehalten. Ich war fast schon so weit zu sagen.. ach was… lassen wir es heute …. aber GOTT SEI DANK hab ich das nicht getan. Auch wenn mein Herz etwas geblutet hat weil ich mich aufgrund meiner eigenen NachtShow und eines sehr anstrengenden dreitägigen Travestiebookings gegen eine funkelnde Verkleidung entschieden habe. Nun denn… letztendlich saß ich im Theater und das allein ist schon wunderbar – ausserdem haben ja Marcella Rockefeller und Jurassica die Pailette würdig vertreten :). Der erste Blick auf die Kulisse war wie angekündigt nüchtern – ohne viel Glanz und doch mit unheimlich viel Liebe zum Detail gestaltet. Selbst bis zum Ende des Musicals entdeckte ich mal hier und da noch neue Details. Mit leichter Verspätung begann dann das Musical und meine Endorphine tanzten Tango gleich beim ersten Song Monika aufgrund einer sehr mitreissenden Choreografie und toller Inszenierung. Selten hatte mich ein Musical gleich von der ersten Minute an und selten blieb dieses Gefühl über fast den gesamten Zeitraum.

Das Musical Kudamm 56 erzählt die Geschichte einer typisch deutschen Familie ca. 11 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, die auf der einen Seite ihre eigene Geschichte aufarbeitet und auf der anderen Seite versucht die jahrzehntelang eingetrichterten deutschen Tugenden weiterzuleben. Jetzt denkt sich wahrscheinlich der ein oder die andere … Ohhh nein… nicht schon wieder ein Theaterstück mit dem mahnenden Finger und der Nazikeule … (wobei es gerade HEUTE nicht oft genug wiederholt werden kann!!) aber NEIN dieses Musical versteht es das Thema erstens mit einer gewissen Leichtigkeit zu transportieren ohne dabei banal zu klingen und zweitens immer wieder auch die Probleme der Menschen in den Vordergrund zu stellen, die eigentlich “nur” weiterleben wollten und dennoch zerrissen waren zwischen Schuldgefühlen und Überlebensängsten. Grandiose Songtexte und unglaublich viele wunderbare Dialoge lassen das Musical nicht eine Sekunde schwächeln oder langatmig werden. Im Gegenteil ich hätte locker noch weitere 2 Stunden schauen können. Und das ist aber auch schon der einzige Kritikpunkt: es ging viel zu schnell vorbei. :) :) …

Zugleich ist das Musical aber auch wunderbar auf diese unsere Zeit anwendbar – denn unsere ach so toll digitale gewordene Gesellschaft liebt es Menschen auszugrenzen oder vorzuverurteilen. Auch das Thema Emanzipation, Generationskonflikte und Mobbing sind Teil der Geschichte aber wie oben schon erwähnt – eben nicht mit dem großen Holzhammer sondern elegant und leichtfüßig und damit deutlich einfacher zu verstehen (für all jene die schon beim Wort Gendern Pickel bekommen ;) ). Ich unterstelle einfach mal das es genau die Art von Edutainment ist die sogenannte “Verweigerer” unterschwellig zum umdenken bewegen könnten – das alleine ist so unglaublich grandios und gleichzeitig wertvoll in dieser Zeit. Und dann ist ja da noch Katja Uhlig alias Mutter Catarina Schöllack die im gesamten Musical eine unglaube Leistung sowohl gesanglich als auch schauspielerisch darbietet. Ich durfte mit ihr Leiden, mit ihr Bangen, mit ihr Weinen und Hoffen. Sie tanzt, sie träumt, sie vergisst sich um eine Sekunde später wieder die Peitsche zu schwingen. Grandios, bezaubernd und zu bemitleiden…. und das mit dauernder Gänsepelle. Ich weiß gar nicht wo ich aufhören soll mit den Superlativen, denn es gab Muscials, die ähnlich zurückhaltend ausgestattet waren und die mir gar nicht gefielen aber Kudamm 56 lebt von der Message und den unglaublich großartigen Tanzchoreografien, die einen einfach mitreissen müssen. Reduktion gab es auch in der Kostüm- und Requisitenabteilung und dennoch feiere ich mit Begeisterung Details, Retrolook und neuzeitliche Anspielungen.

Um es einfach mal auf den Punkt zu bringen. Kudamm 56 ist für mich das mit Abstand tollste Musical der letzten 10 Jahre. Eine absolute MUST SEE Produktion mit dem Wunsch nach mehr. Vielen Dank an Peter Plate, Annette Hess und Ulf Leo Sommer für dieses Meisterwerk. Ich werde auf jeden Fall ein zweites und ziemlich wahrscheinlich sogar ein drittes mal dabei sein…. sofern uns eine neue Panikregierung nicht wieder die Kultur stiehlt und damit auch mir wieder meinen Arbeitsplatz. Kleine Anekdote am Rand… ich habe mir zum ersten Mal in meiner kulturellen Laufbahn einen Musical Soundtrack auf CD geleistet… und für alle Kids… CDs sind die MP3s von gestern.

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