oder der schmale Grad zwischen Wahnsinn und Genialität
Im Wintergarten wird kräftig umgebaut – was immer da gerade bauliches passiert, passiert auch in der Programmvielfalt. Denn mit der Produktion “Der helle Wahnsinn” erzählt der Wintergarten eine musicalartige akrobatische Tanzshow. Ein echter und vor allen erkennbarer Handlungsstrang hält die manchmal etwas bodenlastige Akrobatik in einer Art und Weise zusammen, wie ich es im Wintergarten noch nicht erlebt habe. OK… es gab immer Themen, musikalische Konzepte oder Figuren, die ein grobes Konzept erkennen liessen aber eine ganze Geschichte? .. nee ich erinner mich nicht daran. Und was soll ich sagen.. es hat der Produktion so unglaublich viel gegeben, es hat die Aneinanderreihung von Akrobatik und Variete in etwas neues verwandelt – in ein musikalisches Artistical.
Doch das ist noch lange nicht alles. “Der helle Wahnsinn” lebt von tollen schauspielerischen Mimiken, grandiosen Akteuren in perfekt besetzten Rollen und schöner Bewegungskunst … mit berauschenden Tanzeinlagen und Musike… oh ja.. vielseitiger Musike. Ich war mehr als verzaubert von der synchronen Steptanzummer zweiter Ausnahmeartisten und wollte nicht zwinkern bei der komisch anmutenden und gleichermaßen hochartistischen Fußjonglage von Nata Galkina. OK… es gab auch leichte Kost an den Strapaten und im Angesicht der Tatsache, das der Meister Peirera selber in der Produktion “nur” kurz ein wenig in der Luft schwebt, lebte diese Performance lediglich von der Tatsache, das die Person wohl eine 69jährige Legende ist. Aber das weiß leider niemand im Publikum so wirklich – und damit wirkte diese eher schwach im Vergleich zu dem hohen Niveau der anderen Akrobaten. Doch was red ich da… das ist meckern auf gaaaaaaaaaanz hohem Niveau. Die Show hat grandiose Charaktere wie Rummelsnuff, der mir sooooo gut gefallen hat, tolle Stimmen wie die schizophrene Sarah Bowden, die es schafft neben Gesang und Tanz auch noch grandios zu schauspielern !! Ich habe ihr jede Sekunde die kranke Irre abgenommen – jede Sekunde! Ich könnte jetzt weiter erzählen von unglaublichen Balanceacts eines Messermörders in luftiger Höhe oder aber von den wunderbaren Collins Brothers, deren Performances zwar nicht neu im Wintergarten ABER die in “der helle Wahnsinn” perfekt integriert sind, doch ich erzähl erstmal was zur Geschichte.
Diese handelt von einem Irrenhaus kurz nach dem zweiten Weltkrieg. Adolf der Schnäuzer und Konsorten sind noch nicht ganz aus den Vorzimmern verschwunden und Homosexualität bedarf noch immer der Geheimhaltung bzw. Einweisung zwecks Heilung. Das diese kranke Vorstellung gerade in heutiger Zeit wieder aktueller denn je wird, hätte ich vor 10 Jahren auch nicht gedacht. Der politische Zeigefinger wird auf spielerische Weise erhoben ohne das es dem Entertainment schadet – beeindruckend. Immer mehr möchte man laut Bravo schreien, denn gerade in der zweiten Halbzeit steigert sich die Produktion nochmal deutlich in Bezug auf die Artistik bis zum großen Höhepunkt des amerikanischen Talentscouts, gespielt und besungen von Matt Voodoo. Auch wenn Matts wunderbare Stimme gestern etwas übersteuert wirkte war auch dieses gesangliche Gastspiel ein Highlight. Ein bisschen Schade fand ich das die die Produktion am Ende die Geschichte abwürgt. Die Geschichte vom Zigeunerjungen im Fummel, der das KZ überlebte wird genauso wenig aufgelöst wie die Tatsache warum der Messermörder plötzlich die Gitarre zückt.
Trotzdem … Bravo Wintergarten für den Mut sich mal wieder neu zu erfinden. Bravo David und Jack für diese ungewöhnliche Inszenierung und Bravo an alle Akteure für diese abenteuerliche Geschichte, die mich weitestgehend mitgenommen hat. Karten für dieses Spektakel gibt es HIER. Unterbrochen nur von zwei Möchtegern Showgirls an meinem Tisch, die sich während der gesamten Produktion lauthals darüber austauschten, wen sie alles kennen und welche Bookings sie mit wem haben… ich hasse solch Trudchens und hätte beinahe meine Rolle als MC / Host ausgelebt und die beide vor die Tür verwiesen. Auch wenn man aus der Branche kommt gehört es sich einer Show, egal wie oft man sie gesehen hat, den nötigen Respekt zu zollen.
Ich werde mir dieses Stück nochmal anschauen – erstens weil es gut ist und zweitens um in den Genuss zu kommen NICHT mit solch drögen Hühnern am Tisch zu sitzen ;)