Mittwoch, 24. April 2024

Ein Interview mit Ryan Stecken – die Boytunte von DSDS

oder “schräger” Vogel oder nicht… Deutschland braucht mutige Grenzgänger!

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Wendehälse und Duckmäuser hat dieses Land leider genug und bis in die Führungsetagen. Dunkelbraun oder Grau gekleidete Schwarz-Weiß Denker und Nörgler beäugen jeden Tag bunte Abenteurer und verurteilen diese als Volksport. Umso schöner ist es wenn sich eine(r) wieder mal an die Eier fässt und der Republik zeigt… wir sind kreativ… glaubt es oder nicht. Ich hatte die Möglichkeit mit Ryan Stecken ein kurzes aber spannendes Interview zu führen… VIEL SPASS.

Mir scheint es, dass die Medien gerade etwas sensibilisierter im Umgang mit Drag Performern sind – zumindest nehmen die unterschiedlichen Formate öfter Kenntnis von “unsereins”. Welche Erwartungen hast Du in Bezug an Deinen Auftritt bei DSDS?

Ich glaube, dass man als Drag Performer immer noch eher als “Trash Faktor” oder als “Quotenschlampe” als als wirklicher Performing Artist wahrgenommen wird. Ich sehe es schon kommen, dass ich nicht ernst genommen werde und dass viele denken werden, dass ich einfach nur “just for fun” da bin; aber dem ist nicht so. Ich bin vor allem da um erstens meine Message rüberzubringen, dass es in Ordnung ist anders zu sein und dass man sich nicht verstecken oder verheimlichen sollte, sondern dazu stehen sollte  wie man ist und stolz darauf sein sollte. Jeder Mensch ist einzigartig. Und jeder kann glitzern und fabulous sein! Zweitens möchte ich zeigen was ich als Sänger und als Performer kann. Ich hoffe nur, dass dieser Aspekt im ganzen “Oh du bist so schräg und crazy” Brabra nicht ganz verloren geht.
Es wird nicht einfach und ich denke, ich werde anfangs auf viel Ablehnung und Unverständnis stoßen bzw. erfahre ich momentan noch sehr viel Ablehnung und im besten Fall Verwirrung (was ja auch nicht so verkehrt ist  – ich liebe es zu provozieren und zu verwirren), aber zur gleichen Zeit kommen auch viele junge LGBT Menschen auf mich zu, weil sie in mir jemanden sehen, der sie versteht. Und das ist mir sehr wichtig. Bevor ich das ganze angegangen bin, habe ich mir selbst gesagt, “Wenn ich nur einen einzigen jungen Menschen erreichen kann, hat sich das ganze schon gelohnt.” Und das hat es.

Eigentlich bin ich kein Freund von Schubladen. Da aber die Menschen immer eine Kategorisierung präferieren würde ich gern wissen in welcher Schublade Du Dich siehst?

Ich bin tendenziell gegen Schubladen. Ich sage immer mein Arsch ist zu fett, um in eine Schublade zu passen. Und es gibt auch tatsächlich keine Schublade, in die ich wirklich passen würde. Ich übergehe einfach Geschlechter- und Sexualitätsbestimmungen oder  -Vorschriften. Wenn ich mir einen Bart anmalen will, dann tue ich das. Wenn ich dabei auch Stöckel tragen möchte, tue ich das auch. Weiblich, männlich? Scheißegal. Wenn ich mit einem schwulen Mann, einer Hetero Frau, einem Trans*mann, einer Drag Queen oder wem auch immer rummachen, schlafen, oder eine Liebesbeziehung eingehen will, dann mach ich das, egal was zwischen den Beinen ist. Es ist der Mensch der zählt. Da immer mehr Menschen sich mittlerweile in diesem Queer Gedanken bewegen, könnte man sie ja fast schon wieder in eine Schublade stecken. Die Schublade derer, die nicht in eine Schublade gesteckt werden wollen.

In der Regel lieben Dragqueens das Geblitzdingse und die Scheinwerfer auf der Bühne. DragKings dagegen sieht man eher selten. Woran liegt das deiner Meinung nach?

Drag Kings lieben Glitzer, Glam, und Scheinwerfer genauso sehr wie Drag Queens. Es gibt nur einfach keine Szene für Drag Kings. Vielleicht liegt es daran, dass Drag Kings sich nicht in glamuröse Kleider stecken können und es einfach schwieriger ist als Drag King aufzufallen. Ein Mann braucht sich nur eine Dutte (Perücke), Fummel, und Stöckel anziehen et Voila, wir haben eine Drag Queen, oder eben eine Tunte die vielleicht durch ihren prominenten Bartschatten auffällt, aber bei der es sowieso nicht darauf ankommt als Frau durchzugehen, sondern Geschlechtergrenzen zu durchbrechen und Geschlecht generell in Frage zu stellen. Eine Frau die sich Hose und Hemd anzieht sieht im besten Falle, für Schubladen-Denker, aus wie eine butche Lesbe. Viele denken auch Drag Kings wären im Vergleich zu Drag Queens eher “langweilig”. Ich bin hier um das Gegenteil zu beweisen, bitches!

Kannst Du mir Deinen ersten öffentlichen Auftritt als Ryan beschreiben? Welche Emotionen durchflossen diesen Moment?

Der erste “Auftritt” als Ryan war für einen Teaser des Bundestreffens der schwulen, schwulesbischen, und queeren Referate, in dem Semester in dem Hamburg zusammen mit Mainz das Orga-Team zusammensetzte (Sexcalibur – Wie die Øniginnigin zu ihrem Namen kam). Es war ein sehr trashiges Video in dem ich mich damals schon als etwas Besonderes fühlte, da in solchen Videos (und es gibt einige davon) bisher ganz selten Drag Kings vorkamen. Ich war auch sehr stolz auf mich da ich zu dem Zeitpunkt noch nie mit anderen Drag Kings in Berührung gekommen war und instinktiv wusste was ich tun musste. Ich wusste einfach in dem Moment, dass es zwar der erste, aber auf keinen Fall der letzte Auftritt von Ryan sein würde. Es bedeutet mir sehr viel, Vorreiter in einer für die Gesellschaft so wichtigen Sache sein zu dürfen. Ich hätte mich selbst nie in so einer Position gesehen und es gibt garantiert Menschen die es besser machen könnten als ich, aber die Ehre ist mir nunmal mehr oder minder zugefallen und ich werde ihr auf jeden Fall gerecht werden.

Glaubst Du das die Akzeptanz von FzM größer ist als MzF in der heteronormativen Gesellschaft?

Ich glaube, dass weder noch wirklich auf Akzeptanz stößt, weil es einfach an Wissen und Verständnis mangelt. Den Vorteil, den FzM Trans* Menschen haben, ist, dass sie oft eher als biologische Männer durchgehen und sich dadurch unbemerkter in das heteronormative Schema einpassen können. Ich finde, dass es in unserer leider noch sehr heteronormativen Gesellschaft generell an Akzeptanz mangelt, sei es für Transsexualität, Homosexualität oder jeglicher anderen Art von Sexualität, Geschlechteridentifikation oder Queerness, die aus dem heteronormativen Rahmen fällt.

Mit welchen positiven und welchen negativen Erlebnissen wurdest du bisher konfrontiert?

Ich habe mir bis jetzt schon viele abfällige Kommentare anhören bzw durchlesen m¸ssen wie zum Beispiel “Tötet es bevor es Eier legt.” Auch muss ich leider feststellen, dass viele nicht über die Zweigeschlechtigkeit hinaus gucken können und dass der Gro?teil der Kommentare aus “Ist das nen Mann oder ne Frau?” “Was ist das??” und ähnlichem besteht und ich oft mit Conchita Wurst oder Daniel Küblböck verglichen und mit ihnen in die Freak Schublade gesteckt werde – in die meiner Meinung nach keiner von uns gehört. Wenn dann schon in die fabulous Schublade. Andererseits habe ich auch einige ermutigende Nachrichten von manchmal sehr heteronormativ wirkenden Menschen bekommen die mir sagen dass sie mich toll finden, so wie ich bin und dass sie sehr viel Respekt davor haben, dass ich den Mut habe mich öffentlich so zu geben, wie ich bin. Auch schreiben mir junge LGBT Menschen und fragen nach Rat oder sagen mir, dass ich ihnen Mut mache und für eine einzige solche Nachricht stecke ich auch gerne tausend unqualifizierte Hater-Kommentare ein. Mir macht es nichts aus beschimpft zu werden, wenn ich weiss dass es dadurch irgendwann Irgendjemanden erspart bleiben könnte.

Gibt es für Dich Vorbilder? Also ausser Dieter Bohlen *looool*?

Meine Vorbilder, die mich auch zum Teil inspiriert haben, mich öfter und besser aufzudraggen, an meinem Drag zu arbeiten, neue Dinge auszuprobieren und letztendlich im Drag zu DSDS zu gehen, waren anfangs tatsächlich nur Drag Queens. Detox (bekannt durch RuPaul’s Drag Race und Song Parodien wie “Boy is a Bottom” und “Silicone” zumsammen mit Willam und Vicky Vox als DWV) und Raven (bekannt durch RuPaul’s Drag Race, RuPaul’s Drag Race AllStars und RuPaul’s Drag U) waren mitunter meine grö?ten Inspirationen. Selbst in der US Drag Szene sind Drag Kings in der Minderheit und ich fand nur durch Zufall vor kurzem einen meiner jetzt grö?ten Drag King Vorbilder Landon Cider. Es war mir auch eine große Ehre, die unerwartete Unterstützung von Drag Kings der SoCal (Southern California) Szene wie Havok VD und Miles Long geniessen zu dürfen. Das gibt mir natürlich Ansporn die King Szene als einer der Wenigen in Deutschland würdig zu vertreten.

 

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© Bärlin und Ønigin

 

Du bist indirekt die Erlösung von “Millionen” von verdeckt lebenden Menschen mit der gleichen Empfindung. Was würdest du diesen Menschen gerne mit auf den Weg geben?

Ich weiss nicht, ob ich wirklich einen so gro?en Einfluss haben werde, aber für die die es hören wollen: just be faaabulous. Scheiss drauf, was andere Leute sagen. Die Meinung unglitzernder Menschen ist für uns bedeutungslos. Versteckt euch nicht  – be proud!

Ich werde in solchen Interviews immer gefragt ob ich eines Tages den vollen Weg ins andere Geschlecht einschlagen will. Eine beschissene Formulierung wie ich finde. Wie würdest Du das beantworten?

Man darf Drag nicht mit Transsexualität verwechseln. Ich bin keine Frau, die sich im falschen Körper fühlt und irgendwann ein Mann werden will oder sich als Mann wohler fühlt und sich deswegen einen Bart malt. Ich bin eine biologische Frau, die sich in ihrem Körper wohl fühlt, sich allerdings weigert, sich sozialisierten Geschlechterrollen zu unterwerfen; eine Frau die zwar gerne im “geschlechtskompatiblen” Girldrag rumläuft, aber sich auch mal in Männerfummel steckt, einfach weil sie es kann  – um Gender in Frage zu stellen. Wie RuPaul, die Godmother des Drags, so schön sagt, “We’re all born naked and the rest is drag.”

Was sagst du zu den unglaublichen Geschehnissen in Putinland?

Was dort geschieht, finde ich einfach nur menschenverachtend. In der heutigen Zeit Menschenrechte so zu verletzen, ist für mich ein Verbrechen gegen das angekämpft werden muss! Und NIEMAND, der in einer Position wäre, etwas zu tun macht was! Aber bevor ich jetzt in gro?e Hasstiraden ausbreche, linke ich euch lieber ein wunderprächtig inspirierendes Video das eigentlich schon alles sagt:

Dazu möchte ich aber noch sagen, dass es auch in der BRD nicht besser aussieht, obgleich viele in der Illusion leben, dass hier gleiche Rechte für alle herrschen und alles vorbildlich “pro-homo” ist. Auch bei uns ist homo- und transfeindliche Gewalt Alltag, wie man bspw. an jüngsten Ereignissen in Berlin sehen kann. Bevor wir irgendwo anders etwas bewirken können, müssen wir erst mal direkt vor unserer eigenen Haustür anfangen.

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